Andachten

 Andachten zum Innehalten und Kontakt-Halten in "Corona Zeiten"

letzte Änderung 12.4. 2021

 

Predigt über Jesaja 40,26-31

am Sonntag Ouasimodogeniti den 11.4.21

Von Pfarrerin Karin Volke-Klink

 

Liebe Gemeinde,

 

Was für eine wunderbare Zusage: "Die dem Herrn vertrauen, schöpfen neue Kraft, sie Bekommen Flügel wie Adler." Ein traumhaftes Bild wird uns hier vor Augen gehalten: Flügel haben wie ein Adler. Sich von der Erde lösen können. Die Welt von oben betrachten, dem Himmel entgegenfliegen. In der Luft kreisen und sich tragen lassen, von dem Wind unter den Flügeln.

Schon immer haben die Menschen davon geträumt Flügel zu haben. Fliegen können, dem Himmel näherkommen, frei sein. In unseren Träumen gelingt uns das manchmal, uns mühelos in die Luft zu erheben. Träumen lässt sich so etwas leicht.

Und in Wirklichkeit? Die Wirklichkeit der Menschen, die zur Zeit des Propheten lebten, den man den 2. Jesaja nennt, sah nicht so leicht und unbeschwert aus. Im Gegenteil. Nach dem Krieg gegen die Babylonier war das Land verwüstet. Ein großer Teil des Volkes war nach Babylonien in die Gefangenschaft verschleppt und der Tempel, das religiöse Zentrum in Jerusalem war zerstört.

Mutlosigkeit und Verzweiflung herrscht unter den Menschen. Sie fühlen sich so sehr von Gott verlassen, dass sie nichts mehr zu hoffen wagen. Die Resignation raubt ihnen alle Kräfte, sich wieder dem Leben zuzuwenden.

Auch in unserer Zeit heute gibt es Menschen, die mutlos geworden sind, Menschen denen die Kraft ausgeht. In der Krise unserer Zeit erleben das viele, die die Einsamkeit oder die Unsicherheiten nicht mehr aushalten. Wir alle wünschen uns, dass wir wieder Freiheiten zurückgewinnen und dass wir unseren Bedürfnissen entsprechend leben können. Doch auch unabhängig von der Situation heute gab und gibt es solche Erfahrungen immer wieder. Ich denke da zum Beispiel an die junge Mutter, die sich über ihr neugeborenes Kind nicht freuen kann, obwohl sie es sich doch so gewünscht hat. Aber nun, wo es da ist, fragt sie sich, was sie ihrem Kind eigentlich zu geben hat. Die Menschen um sie herum versuchen sie aufzumuntern, aber alle guten Ratschläge bewirken das Gegenteil. Sie fühlt sie sich dieser großen Aufgabe nicht gewachsen.

Oder da ist die Frau, die ihre Schwester durch einen tragischen Unglücksfall verloren hat. Ein paar Wochen lang nimmt die Umwelt Rücksicht. Die Kollegen sind Freundlich, der Chef aufmunternd. Aber schon nach ein paar Wochen bekommt sie zu hören, dass sie sich nicht so hängen lassen soll. Das Leben geht ja schließlich weiter. Nur -  ihre Trauer hört so schnell nicht auf. Für ihre Schwester ging das Leben schließlich nicht mehr weiter. Diese Gedanken gehen ihr nicht aus dem Kopf. Sie kann sich nicht mehr konzentrieren. Sie funktioniert nicht mehr. Die Frage nach dem Sinn, nach dem warum, nach dem Leben überhaupt lässt sie nicht mehr los.

 

Auch für Ältere Menschen ist es oft sehr schwer, wenn sie merken, dass ihre Kräfte nachlassen, und dass sie sich nicht mehr so gut selbst versorgen können wie früher. Was wird aus mir, wenn ich nicht mehr alleine zurechtkomme? In jedem Lebensalter kann es passieren, dass Menschen die Kraft verlieren. Auch der Prophet spricht davon, dass "Männer müde und matt werden und das Jünglinge straucheln und fallen. Wieviel Platz ist in unserer Gesellschaft für Menschen, die nicht mehr funktionieren? Wieviel Verständnis haben wir für Menschen, denen die Kraft ausgegangen ist?

Mir fällt dazu die Geschichte des Hiob ein. Er hatte alles verloren, was er besaß, seine Kinder, sein Hab und Gut, und zuletzt seine Gesundheit. Lange Zeit war er gesund, glücklich und wohlhabend gewesen, aber nun ist alles zerschlagen.

Seine Freunde kommen zu ihm. Sie setzen sich neben ihn und schweigen. 7 Tage lang halten sie neben ihm aus, ohne das gesprochen wird.  Seine Freunde sind da, sie tragen die Trauer mit, sie halten sie mit ihm aus. Sie versuchen nicht vorschnell zu trösten, sondern geben der Trauer Raum, bevor sie mit Hiob gemeinsam um Deutungen und um den Glauben ringen.

Wieviel Zeit nehmen wir uns um Menschen zu begleiten, die von Zweifeln, von Trauer oder von Mutlosigkeit befallen sind? Und wieviel Zeit nehmen wir uns eigenen Gefühlen, Fragen und Zweifeln nachzugehen? Oft sind es gar nicht die großen, tragischen Ereignisse, die uns dazu zwingen unser Leben zu überdenken.

Manchmal reicht schon die Erkenntnis, dass wir älter werden, dass wir Lebensabschnitte hinter uns lassen. Oder wir merken, dass wir unseren eigen Idealen und Ansprüchen nicht gewachsen sind. Wir verändern uns, und müssen neue Orientierung und neuen Halt finden. Immer wieder.

 

Der Prophet empfiehlt uns in solchen Situationen einen Blick in den Himmel: Wir sollen die Augen heben und die Sterne betrachten. So unendlich groß, weit und mächtig, wie das Himmelszelt ist Gott. Unfassbar, unerreichbar und doch ständig da. Wie ein Schutz, wie ein Mantel, der uns bedeckt. Und die unzähligen Sterne, Gott kennt sie alle. Angesichts dieser Stern, angesichts des Himmels ahnen wir Menschen, wie klein wir eigentlich sind. Ein winziger Bestandteil der Erde, ein Nichts in dem ganzen Universum. Und Gott hat das alles erschaffen. Die Mächte des Himmels und der Erde sind sein Werk. Durch diese Größe und Schönheit hat Gott seine Macht bewiesen. So sieht es der Prophet. Haben wir nicht allen Grund auf Gott zu vertrauen, der so unergründlich ist und so viel größer als wir? "Gott gibt den Müden Kraft und dem Kraftlosen verleiht er Stärke." So verkündet Jesaja um seinem Volk neuen Mut und neue Hoffnung zu schenken. Gott der die Welt erschaffen hat, hat auch die Macht euch neue Kraft und Stärke zu schenken.

Das klingt sehr schön, aber stimmt das wirklich Immer? Macht Gott alle Menschen, die Krank sind wieder gesund, macht er die Alten wieder jung? Viele Menschen erfahren immer wieder, dass Gott ihnen neue Kraft schenkt. Viele Menschen erleben, dass sie nach schweren Krankheiten wieder gesund und kräftig werden. Und es gibt viele Menschen, die nach einer Zeit der Mutlosigkeit wieder zuversichtlich und hoffnungsvoll werden.

Wenn so etwas geschieht, ist das ein großes Geschenk Gottes. Doch der Prophet verspricht an dieser Stelle nicht die Heilung aller Gebrechen, wenn er davon redet, dass die Müden neue Kraft bekommen und die Unvermögenden neue Stärke.

 

Ich glaube es ist noch etwas Anderes gemeint. Ich glaube, Gott will den Müden und Kraftlosen Stimme verleihen. Stärken heißt nicht nur, dafür zu sorgen, dass Menschen ohne Einschränkungen bis an ihr Lebensende durchs Leben gehen.

Stärken heißt dafür zu sorgen, dass Menschen ihren Platz in unsere Gesellschaft finden. Gott sagt auch Menschen mit Krankheiten an Leib und Seele seinen Schutz und seinen Beistand zu, damit sie ein Leben in Geborgenheit führen können. Gott nimmt sich auch derer an, die nicht den Idealen unsere Zeit entsprechen: Jung, dynamisch, flexibel, leistungsfähig. Er stellt sich auf der Seite derer, die Halt brauchen, die auftanken müssen, und die gebrechlich geworden sind. Gott selbst macht sich da zu einem guten Beispiel.

Als er die Welt erschuf ruhte er am siebten Tag von seiner Arbeit. Er vollendete sein Werk, indem er ruhte. Und er heiligte diesen Tag und segnete ihn. Diese Ruhe und dieser Frieden ist das Ziel, auf das Gottes Schöpfung hinausläuft. Sie ist Sinn und Ziel von allem, was er geschaffen hat. Die Zeit aufzutanken und inne zu halten, die Zeit Kräfte zu sammeln und über seine Schöpfung zu staunen ist von Anfang an eingeplant. Obwohl von Gott gesagt wird, dass er nicht müde und nicht matt wird, geht er uns doch mit gutem Beispiel voran. Die Ruhe und der Frieden zählen zu seinen Werken. Sie sind nicht Anhängsel, sondern der Höhepunkt seiner Schöpfung.

 

Durch den Ruhetag, der geheiligt ist, bekommt der Mensch einen ganz neuen Stellenwert. Er wird nicht durch seine Leistungskraft bestimmt, und nicht an seinen Werken gemessen. Aus dem Wissen, dass der Mensch mit einem Recht auf Ruhe nach der Arbeit oder nach einem arbeitsamen Leben geschaffen ist, bekommt das Wort von der Kraft, die Gott schenkt eine ganz neue Dimension.

Es ist nicht nur die Kraft, die uns wiederherstellt, um unsere Aufgaben der nächsten Woche zu bewältigen. Nein es ist auch die Kraft, die uns zeigt, worin unser Wert besteht. Wir sind als Menschen Geschöpfe Gottes. Allein darin ist unser Wert bestimmt.

Mit der Kraft, die Gott uns verleiht, sollen wir unser Menschsein vertreten, mit unseren Schwächen und mit unseren Fehlern. Mit unserer Mutlosigkeit und mit unseren Irrtümern. Mit dieser Kraft, die Gott uns verleiht, müssen wir auch einer Gesellschaft entgegentreten, die Menschen nur nach ihrer Leistungskraft beurteilt. Wir müssen damit auch manchmal uns selbst entgegentreten, wenn wir glauben, dass unsere Arbeit und unser Schaffen unseren Wert bestimmt. Es kann sehr schön sein, für die Arbeit Bestätigung und Wertschätzung zu erfahren. Wir alle freuen uns über Lob und Anerkennung, für das, was wir tun. Das alles ist wichtig, aber es ist nicht das, was uns freimacht.

 

Frei werden wir durch das Vertrauen auf Gott, dass er uns in allen Lebenslagen Kraft schenkt. Dass er nicht fordert, sondern gibt.

Diese Freiheit macht uns unabhängig von Anerkennung und dem Gefühl, unseren Wert erst beweisen zu müssen.

Diese Freiheit ist es, die uns die Flügel des Adlers verleiht. Sie bringt uns dem Himmel näher und lässt uns Abstand zu den Lasten und Mühen der Erde gewinnen. Sie macht frei für Träume und für neue Lebensaussichten.

Von ober betrachtet sieht manches ganz anders aus. Aus der Perspektive des Adlers, wird manches, was unüberwindbar scheint auf einmal verschwindend klein.

Der Friede Gottes, der höher ist, als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus.

Amen.